Design made in Switzerland: 5 Schweizer Kultprodukte, die mit der Farbe Rot spielen
Rot gilt als bedrohlich und aufwühlend. Trotzdem fand die Farbe ihren Weg in die Gestaltung vieler Schweizer Designs. Die Produktdesignerin und Kuratorin Gabriela Chicherio erklärt mir, was es damit auf sich hat.
Die Zürcherin Gabriela Chicherio wollte nie nur auf eine Karte setzen. Deshalb verfolgt sie seit dem Abschluss ihres Produktdesign-Studiums an der ECAL verschiedene Ziele. Sie entwarf Möbel unter ihrem eigenen Namen, für Beat Karrer oder Marken wie Ligne Roset, assistierte im Industriedesign an der ZHdK und gründete zusammen mit Andreas Saxer die Design Biennale. Obwohl sie sich schon immer für internationales Design interessierte, wuchs ihre Neugier mit jeder neuen Station daran, in erster Linie Schweizer Design zu vermitteln. So kam sie auf die Idee, Spaziergänge durch Zürich anzubieten und dabei über Design im öffentlichen Raum aufzuklären, das in der Schweiz entsteht. Gleichzeitig startete sie das Hörspiel-Projekt «Design-Storyphone», bei dem sie Interessierten die Entstehungsgeschichten altbekannter Alltagsprodukte wie dem Victorinox-Sparschäler «Rex», Aromat oder dem Omega-Reissnagel näherbringt. Das Erstaunliche: Viele der erwähnten Schweizer Firmen spielen in ihren Entwürfen seit ihrer Gründung mit der Farbe Rot. Sie scheinen sie dazu zu nutzen, um die gestalterische Qualität hervorzuheben. Und das, obwohl sie oft verwendet wird, um Gefahr oder gar Wut auszudrücken.
Warum hypst du ausgerechnet Alltagsgegenstände?
Gabriela Chicherio, Produktdesignerin: Ich möchte den Verdacht, dass Design Luxus ist, widerlegen. Viele Menschen halten es für etwas Elitäres. Dabei sind wir bewusst oder unbewusst in konstanter Auseinandersetzung mit Design. Bei der Einrichtung unserer Wohnung, bei der Wahl von Lern-Apps oder Handyspielen.
Selbst der Caran d’Ache-Bleistift, den gefühlt jedes Schulkind in der Schweiz verwendet, ist Design.
Der Genfer Schreibwarenhersteller scheint die Farbe Rot von Anfang an mit seinem Logo und seinen Produkten zu zelebrieren. Wofür ist die Marke so bekannt geworden?
Caran d’Ache war und ist besonders innovativ. Es war die erste Firma, die 1929 den metallischen Druckbleistift mit Zangenmechanismus Fixpencil und 1931 den wasservermalbaren Farbstift Prismalo einführte. Ihre Wachspastelle Neocolor wurden von Miro und Picasso verwendet, ihre roten Bleistifte von den meisten Kindern in der Schweiz. Zudem engagiert sich die Firma dafür, einen immer grösseren Teil der Stifte aus zertifiziertem Schweizer Holz zu fertigen.
Wie entsteht der Bleistift?
Er wird im Kanton Genf aus Grafit und Holz gefertigt. Zuerst wird die Mine aus einem Gemisch aus Grafitstaub, Ton und Wasser hergestellt. Dann wird diese zu einem dünnen Stab gepresst, gebrannt und mit Wachs oder Mischung von verschiedenen Wachsen für ein besseres Gleiten veredelt. Die Minen werden zum Schutz in zwei präzise zugeschnittene Holzplatten verleimt. Danach werden die einzelnen Stifte mit einer Fräse voneinander getrennt, wobei der sechseckige Querschnitt entsteht. Dieser verhindert, dass der Bleistift auf einer unebenen Fläche wegrollt. Würde Caran d’Ache die Stifte aus der täglichen Produktion der Länge nach aneinanderreihen, ergäbe das eine Strecke von Genf bis Rom – also fast 700 Kilometer.
Das Traditionsunternehmen PB Swiss Tools gibt es seit 1878. Es setzt ebenfalls auf einen roten Griff für ihre Schraubenzieher. Was steckt dahinter?
Ihr roter Griff ist aus Cellulose-Aceto-Butyrat (CAB). Hergestellt wird der Kunststoff über eine chemische Reaktion der Cellulose mit einem Gemisch aus Essig- und Buttersäure, das für gewöhnlich einen unangenehmen Geruch verursacht. Um dem entgegenzuwirken, mischt PB Swiss Tools den Griffen zur Neutralisierung einen dezenten Vanilleduft bei. Ob das rot die Swissness unterstreichen soll oder einfach nur eine gute Kontrastfarbe darstellt, kann ich nicht beurteilen.
Wie wird der Schraubenzieher geformt?
Die Griffe werden zwar im standardisierten Spritzgussverfahren geformt, aber das Metall besteht aus einer extra verschleissfesten Sonderlegierung auf Basis von Federstahl, die nach einer speziellen Rezeptur von PB Swiss Tool hergestellt wird. Besonders ist, dass die Gestaltung bei dieser Firma immer eine direkte Ableitung aus der Ergonomie und der Anwendung ist. Wie beim «Form follows function»-Prinzip gibt es keine rein dekorativen Elemente.
Welche Marken zelebrieren ebenfalls Rot in ihrem Design?
Rot war das Hauptelement der Verpackungen der Omega-Reisszwecken. Auch beim Aromat spielt der rote Deckel eine prominente Rolle. Die deutsche Firma Knorr expandierte 1907 in die Schweiz und konzentrierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ausschliesslich auf den Schweizer Markt und Geschmack. Aromat wurde 1953 herausgebracht. Um es schnell bekannt zu machen, verteilte Knorr damals 30 000 Körbe des Streugewürzes an Schweizer Restaurants. Aber auch die rot-grün-gelbe Grafik stach in jedem Regal heraus. Das Verpackungsdesign stammt von Armando Rutelli, einem gelernten Textil- und Werbegrafiker. In den 1960ern kam der Knorrli vom Tessiner Grafiker Hans Tomamichel dazu. Der kleine Kobold wurde zum Markenbotschafter und Sympathieträger des gesamten schweizerischen Knorr-Sortiments.
Was macht die Verpackung aus?
Zu Beginn hatte die Streudose aus Blech eine Öffnung zum Nachfüllen an der Unterseite. Die Streulöcher waren Teil der Dose und wurden von einem zusätzlichen Deckel verschlossen. Heute ist die Verpackung produktionsoptimiert. Alle funktionalen Elemente sind im Kunststoffdeckel vereint, der ein Gelenk zum Öffnen besitzt. So konnte ein Teil eingespart werden.
Rot ist auch Teil der Trauffer-Kuh. Welche Marketing- oder Design-Clous vereinen sich in ihr?
Die abstrahierte Holzkuh kommt aus dem Berner Oberland, das bekannt für den Tourismus und die Holzschnitzerei ist. Sie gilt als typisches Souvenir und wird aus Holzblöcken zugesägt, geschnitzt und bemalt. Ihre Ohren werden aus Leder ausgestanzt. Viele Schritte werden von Hand gemacht, aber das Gelungenste sind in meinen Augen die roten Flecken. Weil sie rot sind, wird die Kuh, die ja gar keine echte sein will, zur Ikone.
Die Signalfarbe Rot gilt in der Produktgestaltung als taktisch unklug und kommerziell weniger erfolgreich, warum haben diese Dinge dennoch Kultstatus erhalten?
Ich würde nicht sagen, dass Rot taktisch unklug ist. Rot ist auffällig, laut, charakteristisch, strahlend und verkörpert auch die Swissness. Kultstatus haben sie, weil sie gut gestaltet und funktional sind. Viele Produkte, über die wir gesprochen haben, landen ausserdem im Schrank oder sind sehr klein, da ist die Farbe vielen Menschen egal. Bei grösseren Wohnaccessoires und Möbeln befürchten viele hingegen, dass etwas Rotes schnell verleidet. Dahinter steckt die Angst, etwas falsch zu machen, die Entscheidung zu bereuen. Also nimmt man lieber eine neutrale, «einfache» Farbe, weil man dem eigenen Geschmack zu wenig vertraut.
Hast du schon mal etwas Rotes gestaltet?
Explizit etwas Rotes nicht. Aber einen Beistelltisch gab es auch in Rot. Leider ist er in dieser Farbe schlecht gelaufen. Deshalb steht einer davon heute bei mir zu Hause. In hellem Zitronengelb oder Hellgrün kam er besser an. Am besten liefen natürlich Weiss und Anthrazit.
Ist es vielleicht, weil Rot in Innenräumen aufwühlt? Laut Farbpsychologie ist es die stressigste aller Farben…
Ich glaube schon, dass da was dran ist, wenn es um Spitäler oder Gefängnisse geht. Da wäre ich auch zurückhaltend. Aber wieso darf zu Hause ein Wohnzimmer oder ein Badezimmer nicht belebend sein? Im Zweifelsfall würde ich lieber mal eine Wand rot streichen oder ein rotes Möbel oder Accessoire wählen. Es geht nie zu mutig, sondern nur zu langweilig.
Dieser Beitrag ist im Rahmen unserer Sonderwoche zum Thema «Rot» entstanden. Sieben Tage, sieben Beiträge. Mehr Infos dazu und alle bisher erschienenen Artikel liest du hier nach:
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.