Der Second Screen ruiniert das Gamen
Kaum blitzt ein Ladebildschirm oder eine Cutscene auf, schon klebe ich an meinem zweiten Bildschirm. Das vermiest das Spielerlebnis und macht mich zum schlechteren Gamer.
Mein Affenhirn ist ungeduldig. Ergibt sich beim Gamen eine kurze Wartezeit, braucht es sofort neue Eindrücke. Deshalb lese ich auf Ladebildschirmen nicht die Spieltipps, verfolge in Zwischensequenzen nicht die Dialoge und lege mir in der Multiplayer-Lobby keine Strategie zurecht.
Stattdessen schiele ich auf meinen zweiten Bildschirm und lasse mich von Youtube berieseln. Völlig egal, ob mich der Video-Inhalt überhaupt interessiert. Hauptsache etwas flimmert und stimuliert mein Gehirn: Hier ein Video über die Visual Effects im neuesten Spiderman-Film, da ein Zusammenschnitt peinlicher Fussballtore, dort eine Kurzdoku über Billy the Kid. Alles ist besser als die Totenstarre eines eingefrorenen Ladebildschirms. Weil dieser nur kurze Zeit dauert, schaue ich zehnminütige Videos aufgeteilt in Dreissig-Sekunden-Abschnitten.
DJ Khaled – Erzfeind der Immersion
Jedes Mal, wenn ich meinen Kopf leicht nach rechts zu meinem Second Screen drehe, werde ich mental aus der Spielwelt gerissen. Unter diesen Umständen ist es schwierig, jenen Zustand zu erreichen, dem ich beim Gamen immer hinterherjage: Immersion. Jeder Seitenblick erinnert mich daran, dass ich nicht in einer Welt mit Feldherren und magischen Schriftrollen lebe, sondern in einer mit E-Scootern und Steuererklärungen. Wie soll ich in ein Fantasy-Setting eintauchen, wenn im Augenwinkel DJ Khaled bei «Hot Ones» extrascharfe Chicken Wings verspeist?
Diese Ablenkung stört meine Konzentration, was ich in Multiplayer-Games am deutlichsten spüre. Läuft der zweite Monitor, spiele ich klar schlechter und mache mehr Fehler. Der Nebenbildschirm muss nicht einmal ein Video abspielen, schon die Clickbait-Thumbnails ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich – und darunter leidet mein Team.
Häufig entsteht ein Teufelskreis, zum Beispiel beim Moba «Smite»: Stirbt mein Charakter, muss ich je nach Spielphase bis zu einer Minute auf den Respawn warten. Diese Zeit könnte ich nutzen, um Items zu kaufen, die Spielstile meiner Teamkollegen und Gegner zu analysieren und mir einen Überblick über die Karte zu verschaffen. Was ich stattdessen tue, wirst du nie erraten…
Nach Ablaufen des Respawn-Timers renne ich planlos über die Map, stürze mich in einen aussichtslosen Kampf und wundere mich, wieso ich nach kurzer Zeit wieder sterbe. Zurück zu meinen lustigen Filmchen also. Denen ist es egal, wie schlecht ich spiele und wie sehr mich mein Team im Chat (zurecht) beleidigt. So purzle ich Stufe um Stufe die Abwärtsspirale hinunter.
Die Zwangsjacke hilft
Das Schlimmste daran: Mir ist bewusst, dass ich mit meinem Verhalten nicht nur mir, sondern auch meinem Team das Spiel vermiese. Und doch kann ich nicht aufhören, ständig auf den anderen Bildschirm rüberzuschielen.
Deshalb greife ich vermehrt zu radikalen Massnahmen. Ich zwinge mich zur Konzentration. Und zwar, indem ich den zweiten Screen ausschalte. Denn das einzig langweiligere als ein Ladebildschirm ist ein komplett schwarzer Bildschirm. Im besten Fall liegt auch mein Handy ausser Reichweite, sodass ich während der Downtime gezwungen bin, meine Aufmerksamkeit dem Game zu widmen.
Durch diesen Zwang bleibe ich im Spiel. Sowohl mit den Augen wie auch mental. Statt dass ich ans letzte Abstimmungsergebnis denke, erfahre ich etwas über die politischen Hintergründe des Warhammer-Universums. Lieber widme ich meine Aufmerksamkeit ganz einem Medium, anstatt sie auf mehrere aufzuteilen und keines wirklich geniessen zu können. Denn für Multitasking ist mein Affenhirn definitiv zu doof.
Meine Rückzugsorte tragen Namen wie Mittelerde, Skyrim und Azeroth. Muss ich mich aufgrund von Reallife-Verpflichtungen von ihnen verabschieden, begleiten mich ihre epischen Soundtracks durch den Alltag, an die LAN-Party oder zur D&D-Session.