Dein Popo will kein Papier!
Meinung

Dein Popo will kein Papier!

Thomas Meyer
1.9.2021

Als im ersten Lockdown alle Toilettenpapier hamsterten, lächelte ich nur müde. Ich brauche nämlich nur sehr wenig davon – dank meines Dusch-WCs. Ein Testbericht nach 5 Jahren Nutzung.

Menschen sind sehr verschieden. Der eine ist großzügig, die andere geizig, der eine ist niederträchtig, die andere voller Liebe. Aber uns allen ist gemeinsam, dass wir mindestens einmal pro Tag unseren Darm entleeren. Und hinterher dessen Ausgang reinigen. Darin jedoch unterscheiden wir uns bereits wieder erheblich: Im Westen benutzen die allermeisten Toilettenpapier, während im Osten oft die Hand zum Einsatz kommt, natürlich im Verbund mit Wasser. Bemerkenswerterweise war es einst umgekehrt: Im Buch «Science and Civilisation in China» wird ein Reisender erwähnt, der im Jahr 851 sagte: «Sie [die Chinesen] achten nicht auf Sauberkeit, sie waschen sich nicht mit Wasser, nachdem sie ihr Bedürfnis erledigt haben, sondern wischen sich mit Papier ab.»

Der Schweizer Proktologe Daniel Dindo, der sich schon viele Wortspiele mit seinem Nachnamen anhören musste (genau genommen wohl exakt eines), würde es heute ganz ähnlich formulieren: In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger erwähnt er unsere «merkwürdige Angewohnheit, sich mit trockenem Papier den Hintern abzuwischen». Er rät auch von Feuchttüchern ab: «Sie machen aus ökologischer und finanzieller Sicht keinen Sinn, sondern sind oft die Ursache von Juckreiz und anderen allergischen Reaktionen. Besser wäre Wasser. So wie es in ganz vielen anderen Kulturen völlig normal ist.»

Die Eisenwerke Gaggenau – ja, die heissen wirklich so – rühmen sich 1891 für ihre auf dem europäischen Kontinten einzige «Papier-Perforier-Anstalt». Tatsächlich wurde damals in Grossbritannien bereits seit längerem spezielles Papier hergestellt, das die Leitungen der neuen Wasserklosette nicht verstopfte.
Die Eisenwerke Gaggenau – ja, die heissen wirklich so – rühmen sich 1891 für ihre auf dem europäischen Kontinten einzige «Papier-Perforier-Anstalt». Tatsächlich wurde damals in Grossbritannien bereits seit längerem spezielles Papier hergestellt, das die Leitungen der neuen Wasserklosette nicht verstopfte.

Die Dusch-WC-Tradition in der Familie Meyer

Auch bei Dr. Dindo zuhause ist die Reinigung mit Wasser normal – er hat ein Dusch-WC. Das gibt es als Luxus-Komplettanlage mit Sitzheizung, Beleuchtung und Annäherungssensor, der automatisch den Deckel hebt (ab rund 5000 Franken), oder als simplen Aufsatz für bestehende Schüsseln (ab 700 Franken). Auf Knopfdruck fährt ein Arm aus der Anlage heraus und sprüht unter Vor- und Rückwärtsbewegungen körperwarmes Wasser nach oben. Das reinigt nicht nur schneller und gründlicher, sondern entfernt auch die Bakterien, Pilze und anderen leckeren Organismen, die mit Toilettenpapier nicht beseitigt, sondern einfach verteilt werden.

Denk Dir hier Deinen fröhlichen Popo dazu!
Denk Dir hier Deinen fröhlichen Popo dazu!

Ich besitze auch ein Dusch-WC, einen Aufsatz von Geberit. Aber nicht wegen Dr. Dindo, sondern wegen meines Vaters, der sich bereits vor 27 Jahren einen angeschafft hat und für längere Zeit aus dem Schwärmen nicht mehr herauskam. Meine Mutter und meine Schwester interessierten sich nicht besonders für die begeisterten Schilderungen über blitzblanke Gesässe, ich mich aber schon, ich bin für dieses Thema immer zu haben. Auch mein Sohn war, als er noch sehr klein war, sehr erfreut über den lustigen Springbrunnen, den man aus Opas Klo hervorzaubern lassen konnte. Mittlerweile ist er neun und nutzt unser Dusch-WC wie ein Habitué.

2016 – ich weiss nicht, warum ich so lange zögerte, immerhin verbrauchte ich Unmengen von feuchtem und trockenem Toilettenpapier und tat damit weder der Umwelt noch meinem Hintern einen Gefallen – war es dann soweit: Ich beschaffte ebenfalls einen Aufsatz. Nachdem der Installateur diesen montiert und mit Zuleitungen für Wasser und Strom verbunden hatte, freute ich mich wie ein Kind auf die erste Benutzung und berichtete meiner Familie danach euphorisch über das erstaunliche Sauberkeitsgefühl (meine Mutter und meine Schwester interessierten sich nicht besonders für die Schilderungen, mein Vater aber ist für dieses Thema immer zu haben).

Auch meine Freunde informierte ich wortreich über meine neueste Anschaffung und deren bestechenden Nutzen: maximal sauberer Popo bei minimalem Ressourcenverbrauch. WC-Papier besteht nämlich üblicherweise aus Bäumen. Das muss man sich mal vorstellen: Jahrzehntealte Gewächse werden gefällt, nur damit wir uns damit den Arsch abwischen können. Mein Verbrauch ist nicht auf null gefallen, gepinkelt wird ja weiterhin, aber es sind sicher nur noch 5% der vorherigen Menge (das sind bei rund 25 Kilo pro Kopf – beziehungsweise Hintern – und Jahr immer noch 1,25 Kilo). Eine Packung mit 12 Rollen reicht mir für mehrere Monate. Als daher während des ersten Lockdowns überall das Toilettenpapier ausverkauft war, brachte mich das in keine Not. Die zwei Rollen, die ich noch hatte, reichten locker, bis die Regale wieder aufgefüllt waren.

Für unterwegs: Happy Po!

Was aber macht der Dusch-WC-Afficionado auf Reisen? Das war jedesmal ein echtes Problem, ein Katapultwurf ins anale Mittelalter, sozusagen. Bis ich Happy Po entdeckte, die Po-Dusche für unterwegs: Man füllt ihn mit warmem Wasser und drückt ihn einfach zusammen. Phantastisch!

Passt demontiert in jedes Necessaire und hat ein Preis-Leistungs-Verhältnis wie ein Gratis-Porsche.
Passt demontiert in jedes Necessaire und hat ein Preis-Leistungs-Verhältnis wie ein Gratis-Porsche.

Kleine Kacka-Historie

Um wieder zur anfänglichen Frage zurückzukehren, wie wir uns zu früheren Zeiten den Hintern wischten: Da dienten im Lauf der Menschheitsgeschichte allerlei Hilfsmittel wie Pestwurzenblätter, die in Bayern wohl nicht ohne Grund Arschwurzen heissen, wie auch Moos und Heu, ab dem Mittelalter dann Textilien aller Art, wobei in wohlhabenderen Haushalten natürlich die edleren Stoffe so endeten, und ab dem 16. Jahrhundert auch Papier. Es gilt nach wie vor als der Popoweisheit letzter Schluss, zumal sein Konsum stetig ansteigt. Wer aber wie Dr. Dindo, mein Vater und ich die Vorzüge eines Dusch-WCs kennengelernt hat, weiss es besser.

Hier stürzt Baschi Hegner, ein ehemaliger Mönch des Klosters Rüti, auf einem Rapperswiler Abort zu Tode, bevor er sich mit dem bereitliegenden Stroh den Hintern wischen konnte. «Die abgelegenen, über dunkle Stiegen zu erreichenden Abtritte waren recht unfallträchtige Orte», wie der Historiker Martin Illi in seinem hochinteressanten Buch «Von der Schîssgruob zur modernen Stadtentwässerung» schreibt: «Ein loses oder morsches Brett konnte Grund für einen schrecklichen Unfall sein.» Bild: Zentralbibliothek Zürich
Hier stürzt Baschi Hegner, ein ehemaliger Mönch des Klosters Rüti, auf einem Rapperswiler Abort zu Tode, bevor er sich mit dem bereitliegenden Stroh den Hintern wischen konnte. «Die abgelegenen, über dunkle Stiegen zu erreichenden Abtritte waren recht unfallträchtige Orte», wie der Historiker Martin Illi in seinem hochinteressanten Buch «Von der Schîssgruob zur modernen Stadtentwässerung» schreibt: «Ein loses oder morsches Brett konnte Grund für einen schrecklichen Unfall sein.» Bild: Zentralbibliothek Zürich

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Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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