Das «Silent Hill 2»-Remake ist ein überraschend gutes Horror-Abenteuer
Die Neuauflage von «Silent Hill 2» ist für mich die bisher grösste Überraschung des Gaming-Jahres. Das Horrorspiel überzeugt durchs Band und ist schockierend gut.
Konamis PS2-Meisterwerk «Silent Hill 2» kehrt als Remake mit komplett überarbeiteter Grafik und Gameplay zurück. Für mich die perfekte Gelegenheit eine riesige Wissenslücke zu schliessen – ich habe bisher noch nie ein Game aus der langjährigen japanischen Spielreihe gezockt.
Meine Vorfreude auf die Neuauflage wird vor dem Release von viel Skepsis überschattet. Das zuständige Entwicklerstudio «Bloober Team» hat sich mit ihren bisherigen Releases wie «Layers of Fear» oder «The Medium» nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Auch die im Vorfeld veröffentlichten Trailer wurden unter Fans mit viel Zweifel und Misstrauen begutachtet.
Umso erstaunter – ja, geradezu schockiert – bin ich, wie begeistert ich vom Spiel bin. «Silent Hill 2» ist einfach genial und überzeugt mich, auch ohne das Original gespielt zu haben. Es ist nicht nur eines der besten Spiele des Jahres, sondern auch eines der besten Horror-Games, das ich je gespielt habe.
Psychologischer Horror par excellence
Was mir an «Silent Hill 2» besonders gut gefällt, ist die surreale Atmosphäre. Diese ordne ich irgendwo zwischen «Twin Peaks» und japanischen Horrorstorys à la «The Ring» ein. Dazu trägt die kryptisch erzählte und mysteriöse Geschichte massgebend bei.
James Sunderland erhält einen Brief von seiner verstorbenen Frau. In diesem steht, dass sie in der titelgebenden Stadt Silent Hill auf ihn wartet. Statt seiner Frau findet James in Silent Hill eine von dichtem Nebel umhüllte Geisterstadt voller grotesker und blutrünstiger Monster.
Mehr Hintergrundinformationen erhalte ich während der rund 16 Stunden langen Story spärlich. Im Gegensatz zu anderen Horror-Games wie «Resident Evil» verzichtet «Silent Hill 2» auf unnötig detaillierte B-Movie-Plots und hanebüchene Erklärungen. Im Zentrum stehen der psychologische Horror, das Leiden und die Angst, die James verspürt, während er sich durch die Monster-verseuchte Stadt kämpft.
Auf seiner Reise lernt James weitere verlorene Seelen kennen, die sich in Silent Hill verirrt haben und langsam verrückt werden. Auf einem Friedhof treffe ich Angela, die in der Stadt verzweifelt nach ihrer Mutter sucht. In einem heruntergekommenen Apartment finde ich Eddie, der sich vor Angst und Schrecken die Seele aus dem Leib kotzt. Am Stadtsee lerne ich Maria kennen, die James' verstorbener Frau zum Verwechseln ähnlich sieht und ihn verführen will.
Diese hervorragend inszenierten und bizarren Zusammentreffen sind Höhepunkte im Storytelling des Games. Sie fühlen sich mit ihren skurrilen Dialogen und der verstörenden Musik an, wie ein Fiebertraum von David Lynch. Genial.
Nebel und Dunkelheit
Selten hat ein Game so gut in eine Jahreszeit gepasst, wie «Silent Hill 2» in den kalten und grauen Herbst. James wird bei seiner Ankunft in der windigen Kleinstadt von einem ungewöhnlich dichten Nebel begrüsst. In der kalten Nebelsuppe lauern hinter jeder Ecke groteske Gestalten, die mir den Garaus machen wollen. Ich sehe fast nichts und muss mich stets vorsichtig durch den grauen Schleier bewegen. Ist das da vorne ein tödliches Monstrum oder ist es nur die Silhouette einer Schaufensterpuppe?
Wenn ich mal nicht durch die Strassen von Silent Hill wate, erkunde ich die Innenbereiche von heruntergekommenen Appartements, Hotels und Krankenhäusern. Dort wird meine Sicht nicht durch Nebel, sondern von einer erdrückenden Dunkelheit begrenzt. Mit einer schwachen Taschenlampe ausgerüstet, bahne ich mir den Weg durch finstere Korridore zerfallener und vermoderter Gebäude. Die Dunkelheit ist beklemmend, überall könnten scheussliche Monster auf mich lauern. Immer wieder gibt meine Lampe den Geist auf. Das Erforschen der Häuser fühlt sich fast schon klaustrophobisch an. Ich bin gefangen und will hier raus.
Während das Original aus dem Jahr 2001 auf eine weit entfernte Kamera und teils fixe Kameraperspektiven setzt, verfolge ich das Geschehen im Remake aus einer nahen Over-the-Shoulder-Perspektive. Zum Glück, denn so kann ich mich intensiv an der schaurig schönen Darstellung des Games ergötzen.
Die Umgebungen strotzen nur so vor kleinen Details. Ultrascharfe Texturen werden durch sich bewegende Akzente, wie herumwirbelnde Blätter oder krabbelnde Insekten, ergänzt. Die Charaktermodelle überzeugen durch eine glaubwürdige Mimik und tolle Animationen. Der schwere Nebel sieht so voluminös aus, dass ich ihn förmlich im Gesicht spüre. In dunklen Bereichen lässt die Lumen-Beleuchtung der Unreal Engine 5 ihre Muskeln spielen. Wunderschön.
Einziger Wermutstropfen auf der PS5: Die Raytracing-Reflektionen sind niedrig aufgelöst und hinterlassen oft verpixelte Spiegelungen in Pfützen und anderen Oberflächen. Ebenso hinterlässt das Upscaling auf 4K in manchen Situationen unschöne Artefakte im sonst so stimmigen Gesamtbild. Gross gestört haben mich diese Schönheitsfehler aber nicht.
Prügeln und Ballern
Auf meiner Entdeckungstour bin ich anfangs nur mit einem improvisierten Holzschläger ausgerüstet. Mit der Zeit schalte ich auch Schusswaffen frei. Mit diesem beschränkten Arsenal muss ich mich den ekligen Ausgeburten der Hölle in Silent Hill stellen. Das ist einfacher gesagt als getan. Die Viecher rennen und springen ohne Rücksicht auf Verluste auf mich zu. Einige kotzen mich mit ätzender Säure an, andere attackieren mich mit Messern. Besonders in engen Räumen ohne viele Ausweichmöglichkeiten können die Kämpfe herausfordernd sein.
Das Kampfsystem ist simpel, aber effektiv – ich kann nur ausweichen, schiessen oder zuschlagen. Das macht dank der perfekt umgesetzten Steuerung und dem Widerstand in den adaptiven Triggern des PS5-Controllers viel Spass, besonders im Nahkampf. Mein Adrenalin schnellt regelmässig in die Höhe, wenn ich es mit letzter Kraft schaffe, ein Monster mit einem Schlag in die Fresse zu Fall zu bringen.
Ist das Biest auf dem Boden, trete ich zur Sicherheit noch ein paar Mal zu. Und dann noch ein paar Mal. Man weiss ja nie, ob sie wieder aufstehen. James schreit und stösst dabei animalische Geräusche aus, die adaptiven Trigger wehren sich und knarzen. Das fühlt sich einfach verdammt gut an.
Die Gegner sehen nicht nur bedrohlich aus, sie hören sich mit ihren röchelnden, grunzenden und schreienden Lauten auch verdammt unheimlich an. Allgemein ist die Geräuschkulisse des Spiels extrem gelungen und trägt massgeblich zur beklemmenden Horror-Atmosphäre bei. Die Action wird begleitet von einem befremdlichen Soundtrack, der mit dumpfen, schlagenden oder scheppernden Geräuschen ergänzt wird, die in die Musik verwoben sind.
Auch der PS5-Controller wird in das Soundbild einbezogen. Befindet sich ein Monster in der Nähe, werde ich durch Radio-Störgeräusche aus dem Controller-Speaker gewarnt. Höre ich die Signale, fürchte ich, dass gleich etwas Schlimmes passiert. Höre ich die Signale nicht, finde ich die Stille verdächtig. Ich kann mich nicht entspannen. Es ist diese bedrohliche Grundstimmung, die das Game ausmacht und es von anderen Genre-Grössen wie «Resident Evil» abhebt.
Nichts für Rätselmuffel
In «Silent Hill 2» muss ich nicht nur gegen groteske Kreaturen kämpfen, sondern auch ganz viel rätseln. Die Aussenbereiche und vor allem die diversen Gebäude der Stadt sind voller kniffliger Aufgaben, die ich zum Weiterkommen lösen muss. Im Vergleich zum Original wurden viele neue Rätsel hinzugefügt und alte Rätsel erweitert. Das expandierte Leveldesign hat zur Folge, dass sich die Länge des Spiels von rund acht Stunden auf gut 16 Stunden verdoppelt.
Die Innenbereiche erinnern mich an Dungeons aus «The Legend of Zelda», in denen ich durch mehrstöckige Levels mit verschlossenen Türen, versteckten Gegenständen und Gegnern navigieren muss. Die Denkaufgaben, die ich dabei löse, erstrecken sich oft über mehrere Räume. Geduld, Aufmerksamkeit und Kombinieren werden belohnt. Wer hirnlos durch die Gänge rennt, ohne die Umgebung und die Übersichtskarte genau zu analysieren, wird schnell frustriert aufgeben.
Bei aller Liebe zu den spannenden Rätseln sind mir einige Innenbereiche insgesamt zu umfangreich geraten. Durch die zu ausgedehnten Dungeons leidet das Game stellenweise an Pacing-Problemen, die einige ungeduldige Horror-Fans abschrecken könnten. Das ist aber meckern auf sehr hohem Niveau.
«Silent Hill 2» ist erhätlich für PS5 und PC. Für den Test habe ich die PS5-Version gespielt.
Fazit
Ein Horror-Meisterwerk
Pro
- bedrückende Atmosphäre
- schaurig schöne audiovisuelle Präsentation
- befriedigendes Kampfsystem und Steuerung
Contra
- leichte Pacing-Probleme
Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.