Das mieseste Stück Fleisch: Das Pouletbrüstli
Der Fitnesswahn hat dazu geführt, dass die Pouletbrust seit Jahren einen Hype erlebt. Viel Protein, kaum Fett, gar kein Geschmack. Eine Abrechnung mit dem traurigsten Stück Fleisch der Welt.
Die Pouletbrust ist das fleischgewordene Äquivalent der zersiedelten Schweizer Einfamilienhaus-Agglomeration: Profillos und traurig. Sie ist geschmackloser als ein Gemälde von Rolf Knie oder eine Show von Divertimento. Sie ist die politische Mitte der Fleischindustrie. Der BDP-Slogan «Langweilig, aber gut» könnte genausogut vom Branchenverband «Proviande» für das Pouletbrüstli gewählt worden sein.
Wir fliegen auf Geflügel
Ein Blick auf den Agrarbericht zeigt, dass sich Schweizer Geflügelfleisch immer besser verkauft. Zwar ist der Pro-Kopf-Konsum insgesamt etwas gesunken, Schweizerinnen und Schweizer kaufen aber bewusster ein und greifen zu Schweizer Produkten. Aus Sicht der Nachhaltigkeit sicher erfreulich. Weniger erfreulich ist, dass ein Grossteil des Fleisches als Brüstli auf Fitnesstellern und dem Grill landen. Über 13 Millionen Kilo Pouletbrust pro Jahr sind es, wie «Proviande» auf Anfrage mitteilt. Zum Vergleich: In der gleichen Zeit verkaufen sich 8 Millionen Kilo Pouletschenkel. Was treibt den Menschen also dazu, ein Stück Fleisch zu verzehren, das nach nichts schmeckt und nach noch weniger aussieht?
«Ich esse eigentlich kein Fleisch, ausser…»
Die Pouletbrust ist das Stück Fleisch für den gesundheitsbewussten Flexitarier. Der isst «eigentlich nie» Fleisch. Ausser Pouletbrust. Seit Jahrzehnten preisen Fitnessbibeln und Ernährungsprogramme die Pouletbrust als das Stück an, das «gesund» ist. Wenig Fett, kein Cholesterin, viel Protein und kaum Eigengeschmack. Die Geschmacklosigkeit des Pouletbrüstli gilt in diesen Kreisen als Qualitätsmerkmal. Du darfst dein Pouletbrüstli nach Belieben würzen, es hat ja eh keinen Eigengeschmack. Jedem sein individuelles Stück. Das Fleisch verkommt zum Träger von Gewürzen, Marinaden und Saucen. Es ist nichts mehr als das Stück Brot, das beim Frühstück als Träger für Butter, Konfi und Palmöl-Haselnussaufstrich dient. Jetzt magst du vielleicht sagen «Richtig zubereitet ist es auch nicht trocken!». Stimmt. Richtig zubereitet schmeckt das Brüstli aber immer noch nicht. Und meist ist das Brüstli sowieso falsch zubereitet.
Während bei Schwein und Rind schon längst ein Trend zum Verspeisen des ganzen Tieres («Nose to tail») zu erkennen ist, hat das Huhn noch immer einen Sonderstatus. Wenigstens hat die Industrie einen Weg gefunden, die Resten zu verwerten. Sie serviert uns durch Siebe gepresste Karkassen als Pouletnuggets, Schnitzel oder Cordon Bleu. Auch hier gilt: Hauptsache, du siehst die Urform nicht.
Direkt aus der Matrix
In dystopischen Zukunftsvisionen essen die Menschen graue, undefinierbar geformte Lebensmittel. Was von den Autoren und Regisseuren eigentlich Abscheu beim Zuschauer hervorrufen sollte, ist heute schon längst Tatsache. Das Pouletbrüstli gleicht einer kulinarischen Horrorvision. Einzig das Anbraten verleiht dem Stück noch eine leichte Bräunung und kaschiert das gräulich-weisse Fleisch damit. Blanchierst du das Pouletbrüstli, dann könnte es direkt aus «The Matrix» stammen. Sein graues, trauriges Aussehen lässt dich vergessen, dass es einmal ein Tier war. Keine Haut, keine Knochen, kein Fett, keine Adern, kein Blut. Bloss ein Stück Protein.
Lass es sein
Lass das Pouletbrüstli daher links liegen. Iss lieber gar kein Fleisch. Oder kauf dir Pouletschenkel, Pouletflügeli und ganze Poulets. Die bieten knusprige Haut, saftiges Fleisch und knackige Knorpel. Das ist Poulet. Hast du das Pouletbrüstli erst einmal überwunden, dann gönn dir auch mal Hühnerleber. Oder Hühnerherzen. Oder Hühnerkämme. Meinetwegen kannst du sogar Nuggets und Pouletschnitzel essen. In denen landet nämlich der Rest der Poulets, die für ihre Brüstchen das Leben lassen mussten. Das schmeckt alles besser als Pouletbrüstli.
Leider bestimmt die Nachfrage das Angebot. Aufgepumpte Fitnesstrainer empfehlen das Brüstli. Ihre Jünger folgen ihnen blind. Folgen kannst du mir übrigens auch, mit einem Klick unten bei meinem Autorenprofil. Du kriegst dann eine Mail, sobald ich einen neuen Artikel veröffentliche.
Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.