Das Ende einer Ära: Wie Bobby Kotick Activision Blizzard geprägt und gespalten hat
Bobby Kotick verlässt Ende 2023 Activision Blizzard. Im Lauf seiner Karriere wurde der Geschäftsmann zu einer der meistgehassten Persönlichkeiten im Gaming-Bereich. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Nach über 32 Jahren als CEO verlässt Bobby Kotick per 29. Dezember 2023 Activision Blizzard. Dies, nachdem Microsoft das Unternehmen für 68,7 Milliarden Dollar gekauft hat. Neben Kotick verlassen auch andere namhafte Activision-Blizzard-Führungskräfte das Unternehmen oder werden Xbox-Chefs unterstellt. Mit diesen Änderungen wird Activision Blizzard organisatorisch in Microsofts expandierendes Portfolio von Entwicklerstudios integriert.
Der Wechsel in der Führungsriege hat Signalwirkung. Mit dem Weggang von Bobby Kotick erhoffen sich viele Mitarbeitende und Fans des Unternehmens substantielle Veränderungen. Denn Kotick hat sich in den vergangenen Jahren zu einer der meistgehassten Persönlichkeiten der Videospiel-Branche entwickelt. Seine über drei Jahrzehnte lange Karriere als CEO ist geprägt von unglaublichen Erfolgen, fragwürdigen Geschäftspraktiken und zahlreichen Skandalen.
Vom bankrotten Unternehmen zum 68,7-Milliarden-Deal
Eines muss man Kotick lassen: Er ist ein brillanter Geschäftsmann. Activision hat er in den letzten 30 Jahren von einem nahezu bankrotten Unternehmen in einen 70-Milliarden-Dollar-Megakonzern verwandelt.
Activision steht Anfang der Neunziger Jahre vor dem Abgrund. Das Unternehmen entwickelt keine Games mehr, sondern verkauft Business Software und operiert unter dem Namen Mediagenic. Kotick und seine Geschäftspartner nutzen die Gelegenheit und erwerben für weniger als 500 000 Dollar eine Mehrheitsbeteiligung am Unternehmen. Ein Jahr später wird Kotick zum CEO ernannt.
Kotick wechselt den Firmennamen wieder zu Activision und verlagert den Fokus zurück auf Games. Den ersten grossen Hit unter Koticks Führung landet der Publisher 1999: «Tony Hawk's Pro Skater». In den frühen Nullerjahren macht Activision neben weiteren Sport-Games vor allem mit lizenzierten Spielen («Spider-Man», «Star Wars») auf sich aufmerksam. 2003 legt Kotick mit der Veröffentlichung des ersten «Call of Duty» den Grundstein für eine der erfolgreichsten Spielserien aller Zeiten. 2006 kauft Activision den «Guitar Hero»-Publisher Redoctane und fasst Fuss im damals lukrativen Musikspielmarkt.
Kotick ist das aber noch nicht genug. Er will Zugang zum boomenden MMO-Markt. 2006 sucht er das Gespräch mit dem französischen Medienkonglomerat Vivendi, die mit ihrer Publishing-Abteilung Vivendi Games ein namhaftes MMO-Entwicklerstudio im Portfolio haben: Blizzard Entertainment («World of Warcraft»). Nach langen Verhandlungen und regulatorischen Prozessen erfolgt die Fusion zwischen Vivendi Games und Activision im Jahr 2008. Das Resultat dieses Zusammenschlusses ist ein neues Unternehmen: Activision Blizzard.
Vivendi, die Muttergesellschaft von Vivendi Games, besitzt zu diesem Zeitpunkt die Mehrheitsbeteiligung. 2013 kauft Kotick mithilfe einer eigens dafür errichteten Firma auf den Cayman Islands einen Grossteil der Aktien von Vivendi zurück. So sichert er sich noch mehr Macht im Unternehmen.
Koticks Expansionsgelüste sind aber noch lange nicht gestillt. 2016 greift Activision Blizzard mit dem Kauf von Mobile-Game-Entwickler King («Candy Crush») den Smartphone-Gaming-Markt an. Kostenpunkt: satte 5,9 Milliarden Dollar.
Den vorläufigen Höhepunkt in Activision Blizzards Firmengeschichte erreicht Kotick mit der Übernahme durch Microsoft. Der 68,7 Milliarden Dollar schwere Deal ist die mit Abstand grösste Akquisition der Videospielgeschichte. Auch Kotick selbst wird nach seinem Abgang persönlich profitieren – die Aktien, die er besitzt, sind nach der Übernahme rund 400 Millionen Dollar wert.
Fragwürdige Aussagen etablieren Koticks schlechten Ruf
So weit, so Kapitalismus. Was Kotick mit Activision gemacht hat, entspricht den Grundsätzen kapitalistischer Wachstumsstrategien. Vielleicht mit Ausnahme der Cayman-Islands-Geschichte. Aber: Er hat das Unternehmen grösser und für die Aktionäre profitabler gemacht. Damit unterscheidet er sich nicht von tausenden anderen CEOs. Wieso also wird Kotick von vielen Fans und Mitarbeitenden so gehasst?
Die Anfänge seines schlechten Rufes lassen sich bis kurz nach der Fusion mit Vivendi Games zurückverfolgen. Damals hat Activision angekündigt, dass gleich mehrere Vivendi-Spielserien für immer gecancelt werden. In einem Interview mit MTV spricht Kotick über Activisions Geschäftsstrategie: «Wenn ein Game nicht das Potenzial hat, jährlich auf jeder möglichen Plattform ausgeschlachtet zu werden, haben wir kein Interesse daran».
Dass Activision keine Angst davor hat, Franchises zu Tode zu melken, hat Kotick unter anderem mit der einst erfolgreichen «Tony Hawk's Pro Skater»-Serie bewiesen. Mit jährlichen Releases und grossen Qualitätsschwankungen wird das Franchise spätestens mit dem katastrophalen «Tony Hawk's Proving Ground» 2007 an die Wand gefahren. Ein weiteres prominentes Opfer dieser Strategie ist «Guitar Hero». Mit unzähligen Ablegern und Erweiterungen tötet Activision zwischen 2006 und 2011 nicht nur das Franchise, sondern übersättigt und zerstört auch den Musikspielmarkt als Ganzes.
Legendär sind auch Koticks Aussagen an einer Banking-Konferenz 2010. Während seines Auftritts bekräftigt er, dass seine Mission bei Activision sei, «den ganzen Spass aus der Videospielentwicklung zu nehmen». In seinem Unternehmen solle eine Kultur «der Skepsis, des Pessimismus und der Angst» herrschen, damit man möglichst «sparsam» bleibe. Aussagen, die sich für immer in das kollektive Gedächtnis der Gaming-Öffentlichkeit eingebrannt haben.
Viele Videospiel-Fans machen zu dieser Zeit ihrem Ärger über Kotick mit Photoshop-Kreationen Luft. Besonders beliebt ist es, den CEO als personifizierten Teufel mit Hörnern darzustellen. In einem Interview mit der New York Times von 2012 regt sich Kotick über diese Bilder auf. Er bittet die Fans, damit aufzuhören, weil es Einfluss auf sein Liebesleben habe: «Überlegen Sie mal, wie es sich auf mein Dating-Leben auswirkt, wenn das erste Bild, das in der Google-Suche auftaucht, mich als Teufel zeigt». Erwartungsgemäss hat diese Aussage die Activision-Blizzard-Fans zusätzlich animiert, Teufelsbilder des CEOs zu produzieren.
Interne Machtkämpfe um «Call of Duty»
Dass es Kotick ernst meint mit seiner «Mission, den ganzen Spass aus der Spielentwicklung zu nehmen», beweist er in diversen internen Machtkämpfen. Unter anderem im Disput mit den Erschaffern der «Call of Duty»-Games Vincent Zampella und Jason West. Diese fordern 2009 nach den immensen Erfolgen der Games bessere Konditionen für sich und ihr Entwicklerstudio Infinity Ward – namentlich mehr Geld und grössere kreative Freiheit. Kotick willigt ein, unter der Bedingung, dass die Rechte an «Call of Duty» an Activision Blizzard übertragen werden, sollten die beiden entlassen werden.
Und so kommt es, wie es kommen muss. Gemäss Zeugenaussagen aus einem späteren Gerichtsprozess werden Mitarbeitende damit beauftragt, «Schmutz über Jason und Vince auszugraben», damit Kotick einen Grund hat, sie zu feuern. Die beiden werden schliesslich entlassen und gründen nach einer Klage gegen Activision ihr eigenes Studio: Respawn Entertainment («Titanfall», «Apex Legends»).
Der Mann, der Blizzard zerstört hat
Einen grossen Groll gegen Kotick hegen insbesondere Fans des Entwicklerstudios Blizzard. Viele sehen in ihm den Grund, wieso Blizzard nicht mehr das ist, was es mal war. Kollege Phil hat in einem Artikel den ganzen Untergang Blizzards näher beleuchtet:
Nach der Fusion mit Vivendi lässt Activision die Blizzard-Sparte zunächst relativ unabhängig agieren. Sie ist zwar Teil des neuen Activision-Blizzard-Konstrukts, geniesst aber in der Planung und Entwicklung der Spiele grosse Freiheiten. Das alles ändert sich 2018. In diesem Jahr erhöht Activision den Druck auf Blizzard, möglichst kostengünstig und effizient zu operieren. Es müssen mehr Games mit weniger Leuten produziert werden. Viele Mitarbeitende zeigen sich in anonymen Interviews mit Kotaku besorgt um die Zukunft des Studios. Koticks Ansatz mit «jährlichen Releases, die auf allen Plattformen ausgeschlachtet werden» passt nicht zu Blizzards «release it, when it's ready»-Philosophie.
Auch Blizzard-Fans merken in diesem Jahr, dass sich im Unternehmen etwas verändert hat. Im Dezember kündigt Blizzard an, die E-Sports-Events zu ihrem MOBA-Spiel «Heroes of the Storm» für immer einzustellen. An der jährlichen Blizzcon-Konferenz stellt das Unternehmen «Diablo Immortal» vor – einen Mobile-Ableger der PC-Spielserie «Diablo». Es folgen Buhrufe und Vorwürfe, dass Blizzard ihre PC-Community vernachlässigt, um den Mobile-Markt nach kurzfristigen Gewinnen abzugraben.
Rund ein Jahr später verkündet Bobby Kotick, dass das Unternehmen ein «Rekordjahr» hinter sich habe. Kurz darauf werden rund 800 Mitarbeitende entlassen. Hart trifft es auch die Blizzard-Sparte, die, im Gegensatz zu Activisions Entwicklerstudios, schon lange kein Hit-Game mehr produziert hat.
Die Blizzard-Mitarbeitenden, die bleiben, müssen mit zusätzlichen Sparmassnahmen leben. Laut einem Bericht von Bloomberg zeigen sich 2019 viele Mitarbeitende unzufrieden mit ihren niedrigen Löhnen. Vor allem QA-Tester und der Kundenservice nagen wortwörtlich am Hungertuch. In geleakten internen Chats tauschen sich Mitarbeitende aus, wie sie mit übersprungenen Mahlzeiten Geld sparen können, um ihre Mieten zu zahlen. Währenddessen kassiert Kotick im selben Jahr 40 Millionen Dollar Salär.
Missbrauchsvorwürfe im Unternehmen
Seine grösste Krise als CEO erlebt Kotick 2021. Activision Blizzard wird von der kalifornischen Arbeitsaufsichtsbehörde verklagt. Die Vorwürfe: Das Unternehmen diskriminiere systematisch weibliche Angestellte. Zudem unterstütze Activision Blizzard eine frauenverachtende Kultur, die sexuellen Missbrauch ermögliche.
Die meisten Vorwürfe betreffen die Blizzard-Sparte. Demnach kommt es im Arbeitsalltag und bei Partys oft zu unangebrachten Berührungen sowie anderen Arten der sexuellen Belästigung. Eine weibliche Angestellte nimmt sich aufgrund sexueller Belästigung während eines Geschäftsausflugs das Leben. Das Fehlverhalten der Täter hat grösstenteils keine Konsequenzen.
Kotick beteuert zu dieser Zeit, dass er nichts von diesen Vorfällen gewusst habe. Er kündigt einen unternehmensweiten Plan an, um gegen die Kultur des sexuellen Missbrauchs vorzugehen. Zudem bittet er den Verwaltungsrat, seine Boni zu streichen und sein Salär auf das Minimum zu reduzieren.
Das Wall Street Journal veröffentlicht im November 2021 einen Bericht, der besagt, dass Kotick sehr wohl von vielen sexuellen Übergriffen und einem Vergewaltigungsfall gewusst habe. Kotick habe den Verwaltungsrat und andere Führungskräfte gemäss internen Dokumenten bewusst nicht informiert, um die Vorfälle möglichst kleinzuhalten. Auch Kotick selbst wird in dem Bericht beschuldigt, mehrere weibliche Angestellte misshandelt zu haben. So habe er einer Assistentin 2006 mit einer Sprachnachricht gedroht, sie zu töten. 2007 hat Kotick zudem eine Flugbegleiterin seines Privatjets entlassen, weil sie sich über unangebrachte sexuelle Avancen des Pilots beschwert habe.
Viele Mitarbeitende von Activision Blizzard organisieren sich nach Bekanntmachung der Vorwürfe. Es kommt zu Streiks, bei denen Konsequenzen für die Führungsriege gefordert werden. Der Verwaltungsrat und die Mehrheit der Aktionäre stellen sich auch nach dem Bericht des Wall Street Journal hinter CEO Bobby Kotick. Als Reaktion darauf unterschreiben rund 1000 Mitarbeitende eine Petition, in der gefordert wird, dass Kotick das Unternehmen sofort verlassen muss. Erfolglos.
Wohin mit all dem Geld?
Mittlerweile ist der Gerichtsprozess rund um die Missbrauchsvorwürfe bei Activision Blizzard beigelegt. Das Gericht hat sich mit Activision Blizzard geeinigt. Das Unternehmen muss für die Beilegung des Gerichtsprozesses rund 54 Millionen Dollar «zur direkten Entschädigung der betroffenen Arbeitnehmenden und zur Deckung der Prozesskosten» zahlen. Für einen 70-Milliarden-Megakonzern ein verschwindend kleiner Betrag. Im Gegenzug dazu erkennt das Gericht an, dass sich die Vorwürfe der sexuellen Belästigung und Diskriminierung bei Activision Blizzard nicht bestätigt haben. Zudem erkennt das Gericht an, dass es keine Beweise für ein Fehlverhalten Bobby Koticks gebe.
Alles nochmal gut gegangen für Bobby. Mehr noch. Rückblickend erweist sich der ganze Skandal um die Missbrauchsvorwürfe für Kotick als echter Segen. Nach dem Bericht des Wall Street Journals im November 2021 sinkt Activisions Aktienwert um 15 Prozent. Aufgrund des tiefen Aktienkurses startet Microsoft kurz darauf die Gespräche mit Kotick um eine mögliche Übernahme. Und rund ein halbes Jahr nach der Klage durch die kalifornische Arbeitsaufsichtsbehörde gibt Microsoft bekannt, dass sie Activision Blizzard für 68,7 Milliarden Dollar kaufen.
Was hat Bobby Kotick nach seiner Amtszeit bei Activision als Nächstes vor? In seinem Abschiedsbrief verrät der CEO seine Pläne noch nicht. Er bedankt sich bei seinen Mitarbeitenden und ist stolz darauf, dass er ein Umfeld gefördert hat, das «Inspiration, Kreativität und ein unermüdliches Engagement für hervorragende Leistungen begünstigt». Gerüchten zufolge will Kotick der Videospielbranche den Rücken kehren und mit seinen Milliarden beim Fussballverein West Ham United einsteigen.
Titelbild: Keystone SDA / Jordan MatterMeine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.