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Meinung

Darf ich so alt aussehen, wie ich bin, bitte!

Siri Schubert
25.4.2025

Auf der weltgrössten Fitnessmesse Fibo geht es längst nicht mehr nur um sportliche Leistung. Die Optimierung des Körpers steht im Mittelpunkt, in allen Facetten – von Biohacks zu Longevity. Der Tenor: Alt werden ist ok. Alt aussehen nicht.

Ich bin mir sicher, es war gut gemeint, ABER… Keine 200 Meter entfernt vom Eingang der weltgrössten Fitnessmesse, der Fibo in Köln, sprach mich eine junge Frau an. «Oh, ich habe hier nur ein Pröbchen Handcreme, aber warten Sie einen Moment, ich hole schnell etwas gegen Ihre Falten.» – «Nicht nötig», erwiderte ich. «Das ist schon ok so.» – «Aber um die Augen …?», insistierte sie. Als Antwort zog ich eine Augenbraue hoch. Im Bewusstsein, dass die ausgeprägte Mimik mich noch faltiger erscheinen lässt.

Dabei haben die Fältchen und Falten ihre Gründe. Sie sind Zeugen der lustigen Momente, der Anstrengung und auch des Frusts und Ärgers, den ich in den vergangenen Jahrzehnten erlebt habe. Sie sind wie Souvenirs. Ich will sie behalten.

Während des Messebesuchs spielten sich ähnliche Szenen noch zwei weitere Male ab. Und auch sonst – Anti-Aging schien beim Messetrend Selbstoptimierung ganz oben auf der Agenda zu stehen.

Neben dem Krafttraining gibt’s dafür Eiweissshakes, Collagen-Coffee und Elektrostimulation. Der Stoffwechsel soll dank Supplements und Intervallfasten laufen wie eine High-Performance-Machine. Für Longevity werden Eisbäder, Sauerstoffmasken, Pülverchen und Pillen angeboten. Alt werden ist ein erklärtes Ziel. Alt aussehen dagegen nicht.

Das Spiel mit Angst und Scham

Deshalb gibt’s straffende Cremes. Und Rotlichtmasken, die die Collagenproduktion anregen sollen. Und sogar einen Gen-Test, der mein biologisches Alter bestimmen soll (den habe ich gemacht und werde demnächst darüber schreiben).

Mein chronologisches Alter ist kein Verdienst und keine Schande. Sondern die logische Folge der Tatsache, dass ich zu einem bestimmten Zeitpunkt geboren bin. Mit meinem Aussehen bin ich weitgehend zufrieden. Ich sehe mich ja auch nicht so oft – nur, wenn ich vor dem Spiegel stehe. Und was ich sehe, kann ich meiner Umwelt schon noch zumuten. Denn: Besser wird es nicht. Warum werde ich also so direkt angesprochen – nicht an einem Stand, sondern im Gang auf dem Weg zu einem Termin?

«Wir verkaufen die Idee, dass wir alle gegen das Altern sind, weil wir Angst davor haben sollten – und besser noch, es bekämpfen sollten», kommentiert die Soziologin und Professorin an der University of British Columbia in Vancouver, Laura Hurd, das Phänomen im Magazin National Geographic.

Diese Angst hat laut Hurd reale Konsequenzen für ältere Menschen, angefangen bei beiläufiger Altersdiskriminierung bis hin zu institutionellen und sozialen Praktiken, die vor allem Frauen ausgrenzen und gefährden. Auch Jüngere werden in Mitleidenschaft gezogen. Stichwort: Sephora Kids.

Heisst unsichtbar gleich unerwünscht?

Die deutsche Vogue beschäftigt sich in ihrer Mai-Ausgabe ebenfalls mit dem Thema. «Wie wird es sich anfühlen, wenn wir irgendwann mit uns unbekannten Menschen sprechen, deren Aussehen keinen Aufschluss über ihre Lebenserfahrung gibt, die 30 oder auch 50 Jahre sein könnten? Was bedeutet das für zwischenmenschliche Beziehungen?», fragt sie pointiert.

Nicht falsch verstehen. Jeder und jede darf Cremes und Mittel nutzen, um jünger, älter, schöner, interessanter oder sonstwie auszusehen. Das geht mich nichts an. Auch ich greife gern auf Cremes zurück, die meine Haut weicher und gesünder aussehen lassen – nothing wrong with that.

Cremes, Seren und Supplements – alles, um jünger auszusehen.
Cremes, Seren und Supplements – alles, um jünger auszusehen.
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Was mich dagegen kratzt, ist, dass ich auf einer Messe ungefragt angesprochen werde und es quasi vorausgesetzt wird, dass mit meiner Haut und somit mit mir etwas nicht stimmt.

Jung aussehen scheint nicht mehr das Ideal zu sein, sondern die Norm. Und wer die nicht erfüllt, soll bitte etwas dagegen tun. Das geht so weit, dass die Vogue über einen bevorstehenden, aber dann doch ausbleibenden «Beauty Burnout» schreibt. Der Druck, jugendlich makellos auszusehen, sei grösser als die finanziellen und emotionalen Kosten des Jugendkults, resümiert sie.

Altersstereotype schaden allen

Warum mich das stört? Auf einer Fitnessmesse geht es um Fitness, Krafttraining und Bewegung. Das ist in jeder Lebensphase wichtig – aber vor allem im Alter. Auf einer Fitnessmesse sollten sich deshalb alle willkommen fühlen – egal ob 20-, 60- oder 95-jährig. Wenn das Alter versteckt werden muss und nur die Best Ager, die mit 65 aussehen wie 35, gefeiert werden, stimmt etwas nicht.

Das ist nicht nur meine Meinung. Dr. Becca Levy, Professorin an der Yale School of Public Health, hat in ihren Forschungen gezeigt, dass Menschen über 50 Jahre, die eine positive Selbstwahrnehmung ihres Alterns haben, 7,5 Jahre länger leben als Menschen, die negative Stereotype verinnerlicht haben.

Darüber hinaus hatten diejenigen, die positivem Feedback ausgesetzt waren, ein besseres Gedächtnis und eine bessere Balance. Im Gegensatz dazu hatten Menschen, die negative Altersstereotype hörten, mehr Angstzustände, Depressionen, höheren Blutdruck und schlechtere Leistungen bei kognitiven Tests. Wenn du tiefer ins Thema eintauchen möchtest, ist ihr Buch vielleicht interessant für dich:

Breaking the Age Code (Englisch, Becca Levy, 2022)
Ratgeber

Breaking the Age Code

Englisch, Becca Levy, 2022

Also, was tun? Das darf jede und jeder für sich entscheiden. Für mich heisst es, aktiv, neugierig und offen zu bleiben und zu zeigen, dass viele Klischees übers Älterwerden und Älteraussehen nicht der Weissheit letzter Schluss sind.

Ich werde weiterhin mit Freude, Selbstbewusstsein und meinem älter werdenden Gesicht und Körper auf Fitnessmessen und Sportanlässe gehen. Denn ich liebe es, neue Sportarten auszuprobieren, wie etwa das Pumpfoilen, oder über Stock und Stein zu rennen, ohne dabei zu sehr an mein Aussehen zu denken.

Für dich kann es etwas anderes sein. Lesen, Malen, Movies, your choice. Doch für mich ist Sport das Mittel der Wahl, um mich lebendig, selbstbestimmt und wohl zu fühlen. Falls es dir ähnlich geht und weil Frauen traditionell weniger stark in Abenteuersportarten vertreten sind, gibt’s hier noch einen Buchtipp zur Inspiration:

Tough Broad (Englisch, Caroline Paul, 2024)
Ratgeber

Tough Broad

Englisch, Caroline Paul, 2024

Titelbild: Shutterstock

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Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.

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