«Age of Empires 4» ist ein würdiger, aber zahmer Nachfolger
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«Age of Empires 4» ist ein würdiger, aber zahmer Nachfolger

Philipp Rüegg
25.10.2021

16 Jahre ist es her seit dem letzten «Age of Empires». Dennoch fühlt sich der neueste Teil sofort vertraut an – etwas zu vertraut.

Meine Siedlerin watschelt gemütlich vom Dorfzentrum zum Besammlungspunkt. Dazu erklingt das ikonische «schhhh ha»-Geräusch. Da ist es wieder, dieses vertraute Gefühl von «Age of Empires», das mich vom ersten Teil 1997 bis zum dritten Teil 2005 begleitet hat. Nun ist der Echtzeitstrategie-Klassiker zurück und ich baue und kommandiere schon nach wenigen Minuten als wär’s erst gestern gewesen.

Schnell eingelebt

Das ist auch keine Überraschung. «Age of Empires 4» unterscheidet sich trotz 16 Jahren Pause und Relic als neuem Entwickler-Studio auf den ersten Blick kaum von den Vorgängern. Die aufgehübschten «Definitive Editions» klammere ich mal aus. Wieder gibt es einen Online-Modus, Scharmützel gegen den Computer oder Kampagnen, die Geschichtsunterricht mit verschiedenen Szenarien verbindet. Die Geschichten der Engländer, Mongolen oder Russen werden dabei in Form echter Videoaufnahmen in Verbindung mit animierten Armeen erzählt. Die kurzen Anekdoten erinnern mich stark an den History Channel, nur mit weniger Kitsch. Inhaltlich liefern sie allerdings nicht viel mehr Hintergrund als eine Informationstafel bei einer Burgruine.

Laune macht es allemal, historische Schlachten nachzuspielen und die verschiedenen Taktiken anzuwenden. Die Kampagnen fungieren als eine Art Tutorial für alle, deren «Age of Empires»-Skills etwas eingerostet sind. Das Grundprinzip ist gleich wie eh und je. Im Dorfzentrum bildest du Dorfbewohner aus, die für dich Nahrung, Gold, Holz und Steine produzieren, respektive abbauen. Gleichzeitig sind sie Baumeister für ein breites Sortiment an Gebäuden. Hier gibt es eine kleine, aber feine Verbesserung. Du siehst bei jeder Bauoption, ob und wie oft das Gebäude bereits gebaut wurde. Auch wie viele Siedler mit welcher Arbeit beschäftigt sind, wird angezeigt.

Wenn du genügend Ressourcen gesammelt hast, kannst du ins nächste Zeitalter aufsteigen. Dabei entscheidest du dich neu für eins von zwei einzigartigen Gebäuden. Die verleihen dir einen bestimmten Bonus wie günstigeren Handel oder schnellere Einheitenproduktion. Ähnlich den Gottheiten in «Age of Mythology».

Neue Taktiken

Noch mehr Spielpraxis liefert der Modus «Art of War». Dort werden dir Grundkenntnisse sowie fortgeschrittene Taktiken beigebracht. Dazu gehört das klassische Scheere-Stein-Papier-Prinzip. Speerkämpfer sind gut gegen berittene Einheiten, berittene Einheiten gut gegen Bogenschützen und Bogenschützen gut gegen Speerkämpfer. Zusätzlich können Speerkämpfer einen Schutzwall aus Holzpflöcken aufbauen, der gegen Ritter besonders effizient ist.

Dann gibt es den Hinterhalt. In Wäldern kannst du dich wie Robin Hood verstecken und deinen Feinden auflauern. Ist ausser in der Kampagne wohl nur im Online-Modus relevant. Das gilt fast für alle Taktiken. Wenn du wie ich primär Scharmützel gegen Computer-Gegner spielst und das auf der mittleren Schwierigkeitsstufe, reichen einfache Strategien.

Ich verfalle in alte Muster

Ich bevorzuge wie schon vor 20 Jahren die Igel-Taktik: eine riesige Mauer um meine Stadt ziehen und alles mit Geschütztürmen vollpflastern. Weil die Steinmauern in «Age of Empires 4» deutlich breiter geworden sind, bieten sie sogar Platz für Einheiten. Also kommandiere ich zusätzlich ein paar Bogenschützen und Infanteristen auf die Mauern. So kann ich in Ruhe gigantische Waldflächen roden. Da würde selbst der brasilianische Präsident aus Angst vor der Klimaerwärmung zum Umweltschützer.

Trotz Weltwunder-verdächtiger Mauer ergeht es mir nicht anders als den Chinesen im Kampf gegen die Mongolen. Ständig muss ich meine Truppen von einer Ecke in die andere schicken, um die ewigen Nadelstiche meiner Feinde abzuwehren. Zum Glück gibt es in «Age of Empires 4» wieder ein breites Sortiment an Einheiten, die du mit Upgrades in Schmieden, Universitäten und sonstigen Bauten verbesserst. Mir haben es dabei besonders die grossen Belagerungswaffen angetan. Vier Trebuchet dicht nebeneinander, die im Rhythmus eines Autozylinders riesige Steinbrocken durch die Luft schleudern. Es ist eine Symphonie aus Zerstörung, die auf meinen Feind niederprasselt.

So erstelle ich nach und nach einen undurchdringbaren Verteidigungsgürtel aus Bogenschützen, Rittern und Katapulten, die so gut wie jeder Bedrohung gewachsen sind. Die Expansion überlasse ich meinen Feinden. Ich baue lieber in Ruhe mein Weltwunder. Damit kann ich gewinnen, ohne meine sicheren Mauern verlassen zu müssen. Alternativ kannst du alle Feinde vernichten oder alle Heiligen Städte über einen bestimmten Zeitraum halten. Neu musst du nicht mehr jedes Gebäude und jede streunende Einheit vernichten. Es reicht, alle einzigartigen Gebäude eines Volkes zu zerstören. Womit ich beim vielleicht spannendsten Punkt angelangt bin.

Weniger Völker, dafür unterschiedlicher

Die Zahl der Startvölker ist geschrumpft im Vergleich zu den Vorgängern. Dafür bieten sie mehr Variation. Einerseits gibt es Spezialeinheiten wie Kriegselefanten und Bonis wie schnellere Angriffsgeschwindigkeit der Schiffe. Spannender sind aber die einzigartigen Fähigkeiten. Die Mongolen können beispielsweise ihre gesamte Basis, exklusive Geschütztürme, einpacken und woanders wieder aufstellen. Das dürfte primär in Multiplayer-Partien spannende Taktiken ergeben. Die Chinesen können dafür als einziges Volk beim Zeitalterwechsel beide zur Wahl stehenden einzigartigen Gebäude bauen. Die Delhi Sultane forschen dafür umsonst. Alle Upgrades für Einheiten oder Gebäude kosten sie Zeit statt Gold. Die acht Völker unterscheiden sich also nicht nur optisch, sondern bieten auch sehr unterschiedliche Spielstile.

Apropos optisch: «Age of Empires 4» sieht schick aus: kristallklares Wasser, beeindruckende Bauten, die unter feindlichen Angriffen wunderschön auseinanderbröckeln, hügelige Landschaften, die auch taktische Vorteile mit sich bringen. Es gibt einiges für das Auge. Ich muss aber auch zugeben, dass die «Definitive Edition» der Vorgänger «Age of Empires 4» etwas an Glanz nehmen. Die sehen nämlich fast so schick aus wie der neuste Teil.

Fazit: Als wäre es nie weg gewesen

«Age of Empires 4» ist ein würdiger, wenn auch unspektakulärer Nachfolger. Nach so vielen Jahren hatte ich mir mehr erhofft. Fans dürfen sich dennoch freuen. Das Spiel fühlt sich sofort vertraut an und grafisch hat das Mittelalter nie hübscher ausgesehen. An Festungen, die unter feindlichem Bombardement in tausend Stücke zerbrechen, werde ich mich nie sattsehen. Spielerisch gibt es mit den Angriffen aus dem Hinterhalt, der Topografie oder den Spezialgebäuden auch ein paar Neuerungen. Spannend sind auch die Völker, die sich stärker voneinander unterscheiden als in früheren Teilen. Das dürfte besonders im Online-Modus für interessante Taktiken sorgen.

Nach so vielen Jahren des Wartens sind die Erwartungen an «Age of Empires 4» riesig. Entwickler Relic ist auf Nummer sicher gegangen und hat das Rad nicht neu erfunden. Das ist auch gar nicht nötig. Die alte Formel funktioniert auch heute noch: Nur kurz ein paar Geschütztürme und den Hafen bauen, dann mach ich Schluss und schon sind drei Stunden vergangen. «Age of Empires» ist zurück. Kann ich dann bitte als Nächstes ein neues «Age of Mythology» haben? Danke!

«Age of Empires 4» ist erhältlich für PC und wurde mir von Microsoft zur Verfügung gestellt. Es gib das Spiel als Physische-Box oder als Download-Version.

Microsoft Age of Empires IV - Code in a Box (PC, Multilingual)
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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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