
Kritik
«Andor» Staffel 2: Das Beste, was dieser Galaxis passieren konnte
von Luca Fontana
Netflix' «3 Body Problem» ist ein Sci-Fi-Thriller der anderen Art: Ein Mix aus Wissenschaft, Philosophie und kosmischer Bedrohung, das nicht anders kann, als uns Zuschauende in seinen düsteren Bann zu ziehen.
Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.
Man darf es wohl als eines der kühnsten Science-Fiction-Projekte der letzten Jahre bezeichnen. Wenn nicht sogar als das Gewagteste. Denn Netflix' neuestes Science-Fiction-Epos kündigt sich als etwas Besonderes an. Auch – nein – gerade wegen seiner Romanvorlage: «Remembrance of Earth's Past», eine Trilogie.
Das erste Buch, «The Three-Body Problem», schrieb der chinesische Autor Liu Cixin im Jahr 2006. Sein Werk fand nicht nur im späteren US-Präsidenten Barack Obama einen ersten weltberühmten Fan. Es machte Cixin selbst weltberühmt. Jedenfalls in der Welt der Literatur. Es soll kaum jemanden geben, der so komplexe Wissenschaft mit so tiefgründigen philosophischen und ethischen Fragen verbindet wie Cixin, sagen Kritikerinnen und Kritiker. Nicht in jüngster Zeit.
Ich habe die Bücher nicht gelesen, um es gleich vorweg zu nehmen. Noch nicht. Aber ich bin dabei, das zu ändern. Denn nach dieser ersten Staffel kann ich unmöglich noch zwei Jahre warten, bis ich mit der möglichen nächsten Staffel endlich erfahre, wie die Geschichte weitergeht. Dafür ist «3 Body Problem» einfach viel zu gut.
Sie ist kaputt. Die Wissenschaft. Das sagen zumindest Forschende auf der ganzen Welt. So kaputt sogar, dass sie manche Menschen in den Selbstmord treibt. Andere wiederum beginnen vor ihrem Auge einen mysteriösen Countdown zu sehen. Immer. Auch wenn sie sie schliessen. Oder sich ausstechen. Niemand will erleben, was passiert, wenn der Countdown endet.
Die Welt spielt verrückt.
Naturphänomene, die nicht sein dürfen: Sie passieren. Vor allem am Nachthimmel. Was dahintersteckt? Nein. Nicht was. Wer. Der Feind. Aber kein gewöhnlicher Feind. Sondern einer, der wie ein hungriges Raubtier durch den dunklen Wald streift. Geifernd. Pirschend. Wartend. Bis seine Beute dumm genug ist, ihren Standort zu verraten. Nur ist dieses Raubtier nicht auf der Erde. Sondern im Weltall. Ausserirdische. Und wir sind die Beute, die dumm genug war.
Ganz ehrlich: Das habe ich nicht kommen sehen. Nicht in dieser Form. Denn wo die bisher erschienenen Trailer noch viel visuelles Spektakel versprachen, ist «3 Body Problem» in Wahrheit ein waschechter Psychothriller mit überraschend wenig Schnickschnack. Einer, der in seiner anfänglichen Behäbigkeit viele Fragen aufwirft, die erst nach und nach beantwortet werden. Nur dass diese Antworten wie allmählich fallende Dominosteine wirken – ein Gesamtbild offenbarend, das einem unaufhaltsamen intergalaktischen Domino gleicht.
Gänsehaut.
Genau in diesem anscheinend unaufhaltsamen Domino liegt die Spannung. Vor allem, wenn wir die Hauptfiguren dabei beobachten, wie sie nichts unversucht lassen, um es doch noch aufzuhalten. In der ersten Staffel sind das vor allem Auggie, Jin, Jack, Saul und Will, brillante Physikerinnen und Physiker aus Oxford – und enge Freunde. Doch als die Welt mitsamt den geltenden Naturgesetzen aus den Fugen gerät, begeht ihre Mentorin Vera Ye Selbstmord. Und mit ihr Dutzende weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Das erzähle ich, weil die Buchvorlage all diese Charaktere gar nicht kennt. Autor Liu Cixins Geschichte ist deutlich China-orientierter, lese ich. Es gibt zwar den Handlungsstrang um die geniale Astrophysikerin Wenjie Ye, die es auch in die Serienadaption schafft. Ansonsten sollen sich die «Game of Thrones»-Showrunner David Benioff und D.B. Weiss – zusammen mit Alexander Woo – viele Freiheiten genommen haben. Vor allem aber haben sie das Zentrum der Story von China nach London und Oxford verlegt und besagte zentrale Figuren neu erfunden. Ein Risiko. Gerade, wer eine Verfilmung der Bücher erwartet, keine Adaption.
Aber das Risiko macht sich für mich als Noch-Nicht-Buchkenner bezahlt. Vor allem gegen Ende der Staffel, wenn das persönliche Drama um das Schicksal mancher Figuren den Science-Fiction-Aspekt der Serie für ein, zwei Folgen in den Hintergrund drängt. Was wohl auch der Hauptgrund ist, warum die Story gen Westen verlegt wurde – damit sich das hauptsächlich westliche Netflix-Publikum den Figuren näher fühlt.
Manchen könnte genau das ein Dorn im Auge sein. Eine Inkonsistenz in der ansonsten eher dichten, aber spannungsgeladenen Tonalität. Schliesslich bremst das Melodrama das endlich anschwellende Tempo etwas ab, wenn uns Zuschauenden klar wird, worin genau die Gefahr für die Menschheit besteht und wie sie sich zu wehren gedenkt. Andererseits kriegt «3 Body Problem» dadurch mehr Herz. Mehr Emotionen. So spannend das Aufeinanderprallen interessanter Fragen der Wissenschaft und Philosophie auch sind. Aber keine Geschichte funktioniert, wenn uns das Schicksal der Figuren am Ende kalt lässt.
Bis zu diesem Ende ist «3 Body Problem» meist ein fantastisches Zusammenspiel von kleinen Bildern in einer grossen Geschichte. Ein auffällig unaufgeregtes Spektakel. Ausser in den wenigen Szenen, in denen die Hauptfiguren über ein futuristisches Gerät, das an eine VR-Brille erinnert, in fantastische Welten versetzt werden. Zu welchem Zweck, ist anfangs nicht bekannt. Nur, dass sie darin knifflige wissenschaftliche Paradoxe und Rätsel lösen müssen. Etwa Newtons namensgebendes Drei-Körper-Problem, das ich aus Spoilergründen nicht näher erläutern will. Eine herrliche Abwechslung im ansonsten eher monotonen Setting Londons oder Oxfords.
Anders als das Buch soll die Serie aber selbst dort die Komplexität der Wissenschaft und das Ausmass philosophischer Fragen merklich heruntergefahren haben. Tatsächlich erwische ich mich selten dabei, mir minutenlang Gedanken um die grossen Fragen der Menschheit zu machen – oder ob sie überhaupt würdig ist, gerettet zu werden.
Gestört hat es mich aber nie. Eigentlich bin ich sogar dankbar, dass «3 Body Problem», die Serie, ihre Geschichte Thriller-typisch recht geradlinig erzählt und nicht künstlich versucht, sie grösser zu machen als sie schon ist. Als ob es nicht ausreichen würde, wenn eine haushoch überlegene Zivilisation Jagd auf ihre unterlegene Beute macht, während diese sich überlegt, wie sie den Jägern nicht nur entkommen, sondern sich sogar wehren kann.
Kommt dazu, dass das Melodrama gegen Ende der Staffel rührend genug ist, um mir das Warten auf die noch nicht bestätigte nächste Staffel unmöglich zu machen – natürlich damit verbunden, dass der Ausgang der Geschichte noch nicht feststeht. Ein «Pageturner» halt, wie man im Englischen zu jenen Büchern sagt, die man kaum aus der Hand legen kann. Die ersten beiden Bücher der Trilogie bin ich mir noch am selben Abend, an dem ich «3 Body Problem» fertig geguckt habe, kaufen gegangen.
Ich bin mir gar nicht sicher, was ich nach den ersten Trailern von «3 Body Problem» erwartet habe. Vermutlich viel komplexer präsentierte Materie, die weit entfernt an die deutsche Netflix-Hit-Serie «Dark» erinnern würde – einfach mit Aliens und aufwändigerer Inszenierung.
Von «leichter Lektüre» im TV-Format würde ich trotzdem nicht reden. «3 Body Problem» tappt immer wieder in die Welt der Theorien, Naturgesetze, Physik und Wissenschaften. Manchmal sogar mit einer Prise Philosophie. Etwa, wenn die «Dunkler Wald»-Theorie als mögliche metaphorische Lösung für das Fermi-Paradoxon präsentiert wird – noch zwei Dinge, auf die ich nicht eingehen darf, ohne zu spoilern. Je unbelasteter du die Serie schaust, desto besser.
Was bleibt, ist ein für mein Verständnis klassischer Thriller mit melodramatischer Note und punktuell spektakulären und gleichsam schockierenden Bildern. Nur, dass hier im Unterschied zu den meisten anderen Thrillern nicht das Schicksal Einzelner auf dem Spiel steht, sondern das der gesamten Menschheit. Ein ultra-spannender Ansatz, der Lust auf mehr macht.
«3 Body Problem» läuft ab dem 21. März auf Netflix. Die Serie besteht aus acht Folgen à etwa 60 Minuten. Freigegeben ab 16 Jahren.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»