«Erregung und Aufregung liegen nahe beieinander»
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«Erregung und Aufregung liegen nahe beieinander»

Sexualität polarisiert. Die einen feiern den offenen Diskurs darüber, während andere ihn verärgert ablehnen. Auch auf Galaxus reagieren Leserinnen und Leser immer wieder empört auf das Thema. Warum eigentlich?

Ekel. Unverständnis. Empörung. In unseren Kommentarspalten erhitzen sich die Gemüter ab und zu mal. Geht es in einem Artikel um Themen wie Sex und Frauengesundheit, scheinen vereinzelte Leserinnen und Leser besonders irritiert. Sexualtherapeutin Dania Schiftan erklärt, warum einige den öffentlichen Austausch zelebrieren und andere dagegen rebellieren.

«Niemand muss damit einverstanden sein, dass öffentlich über Sex gesprochen wird», sagt Schiftan. «Das ist eine völlig legitime Meinung.» Sex interessiert schliesslich nicht jeden. «Was mich jedoch immer wieder überrascht, ist die Heftigkeit, mit der gewisse Menschen diesen Standpunkt zum Ausdruck bringen.» Das Thema Sexualität löst offensichtlich viele Emotionen aus. Positiv Interessierte, aber auch negativ Abwehrende. «Das Thema geht den Menschen nahe. Einige nehmen es gar als bedrohlich wahr», sagt die Expertin.

Diese Kommentare wurden unter dem Artikel zum Thema Beckenbodentraining veröffentlicht.

Ansichten, die wir gerne mal als «verklemmt» bezeichnen.

Wo liegt eigentlich «das Problem»?

Schiftan warnt davor, Gehemmtheit als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen abzutun. «Es gibt Leute, die reden nicht gerne über Intimes, sind in ihren Handlungen aber sehr frei. Andere wiederum reden viel über Sex, sind in ihren Handlungen aber alles andere als hemmungslos.» In ihrer Praxis beobachtet sie, dass Menschen anfangs häufig nur bis zu einem gewissen Grad offen reden. Sobald es ans Eingemachte geht, sind die meisten peinlich berührt: Fragen wie «Wie fühlt sich das für dich an?» oder «Was gefällt dir und was nicht?» sind dann unangenehm. In den Therapiesitzungen spüren ihre Patientinnen und Patienten nach kurzer Zeit, dass sie frei reden können. In Gesprächen unter Freunden gelangen Menschen jedoch nach wie vor schnell an ihre Grenzen, erklärt Schiftan. «Wir leben in einer Gesellschaft, in der es als uncool gilt, Fragen zu stellen. Wir werden oftmals vom Gefühl begleitet, alles wissen zu müssen.»

Das böse V-Wort

Peinlich berührt sind einzelne bereits, wenn es darum geht, korrekte Geschlechtsbezeichnungen wie Vulva oder Vagina auszusprechen:

Dieser Kommentar wurde unter dem Artikel zum Thema Vaginale Verjüngung veröffentlicht.

Laut Schiftan wachsen viele Kinder ohne Wortschatz für ihre Geschlechtsorgane auf. Insbesondere Mädchen. «Es heisst dann einfach 'da unten' oder 'Füdli vorne, Füdli hine'. Mit Bezeichnungen wie Penis oder Schwanz geht man generell etwas lockerer um. Die weiblichen Geschlechtsorgane erhalten in den allermeisten Fällen jedoch keinen Namen.» Wer ohne Namen gross wird, dem sind Wörter wie Vulva und Vagina nicht geläufig und damit fremd. «Von da an ist es ein Katzensprung zu 'bedrohlich' oder gar 'grusig'. Dabei sind es Wörter wie jedes andere.» Der einzige Unterschied: Es befremdet uns, sie zu benutzen.

Blut ist nicht gleich Blut

Die Menstruation fällt in dieselbe beängstigende Kategorie. «Wir leben in einer Zeit, in der Körperflüssigkeiten wie Schweiss und Menstruationsblut nicht gerne gesehen werden. Es ist, als wäre eine grosse Hygienewelle über uns hinweggefegt, die keinerlei Körperlichkeiten zulässt. Uns ist die Natürlichkeit völlig abhandengekommen.»

Aber weshalb ist ein blutiger Kriegsfilm in Ordnung, während das kleinste bisschen Periodenblut in der Werbung blau dargestellt wird, um rote Köpfe zu vermeiden? Schliesslich menstruiert etwa die Hälfte der Weltbevölkerung.

Dieser Kommentar wurde unter dem Artikel zum Thema Menstruationstassen veröffentlicht.

«Monatliche Blutungen kennen Männer aus eigener Erfahrung heraus nicht. Deshalb fällt es einigen schwer, den richtigen Umgang mit diesem Thema zu finden», sagt Schiftan. «Zudem gilt die Frau in vielen Religionen als unrein, während sie ihre Tage hat. In anderen Naturreligionen wiederum gilt sie als heilig, weil die Periode als Beweis für die Fruchtbarkeit gilt.» So betrachten selbst Frauen, abhängig davon, wie sie in das Thema eingeführt wurden, ihre Periode oft aus einem negativen Blickwinkel. Sie fühlen sich dreckig oder eklig. Das wiederum führt zu einem negativen Selbstbild, sagt die Expertin. Und sie ergänzt: «Schade, denn das Thema Menstruation könnte man völlig anders erleben und kultivieren.»

Die «Unberechenbarkeit» der weiblichen Lust

Ob ein Thema auf Ablehnung stösst, hängt laut Schiftan auch davon ab, ob die Menschen die Funktionalität dahinter kennen. Nehmen wir das Beispiel Beckenbodentraining. «Viele wissen nicht, wozu es gut ist und welche Funktionen der Beckenboden übernimmt. Deshalb haben Menschen eine eigene Vorstellung davon, was Frau damit machen kann und soll.» Informationen darüber, wie Frauen ihn zu unterschiedlichen Zwecken stärken können oder Artikel, die eine positive Sicht auf die Periode einnehmen, dienen generell der Stärkung der Frau als solche. «Das passt nicht jedem. Thematisiert man hingegen, wie Männer ihre Potenz mit Präparaten steigern können, ist mit weniger Widerstand zu rechnen. Die Sexualität der Männer geniesst in unserer Gesellschaft nach wie vor einen etablierteren Stellenwert.»

Dieser Kommentar wurde unter dem Artikel zum Thema Beckenbodentraining veröffentlicht.

Auch Sexspielzeuge stossen laut Schiftan auf mehr Akzeptanz. «Das Technische ist eine Art Norm in unserem Alltag und greifbarer als ein abstraktes Thema wie Lust.» Vor allem die Lust und Erregung der Frau sind in den Köpfen von Männern und Frauen zweitrangig. «Es gibt heute noch Frauen, die pauschal behaupten, die Sexualität sei für den Mann wichtiger als für die Frau. Oder dass die Sexualität eines Mannes logischer und besser verständlich sei als die einer Frau. Das macht die weibliche Lust in den Augen vieler unberechenbar.»

Ein Widerspruch?

Wer sich in der Kommentarspalte gegen den Inhalt eines Artikels ausspricht, hat den Artikel meist angeklickt, gelesen oder überflogen. Aber weshalb etwas anschauen, das man als widerwärtig empfindet? «Hier zeigt sich die Doppelmoral der Menschen. Sie sind vom Thema Sexualität oder von sexualitätsbezogenen Themen total fasziniert und quasi erregt, angeregt und aufgeregt zugleich. Erregung und Aufregung liegen sehr nahe beieinander. Da können die Gefühle schon mal durcheinanderkommen. Hässliche Kommentare sind eine Art, mit diesem Gefühlschaos umzugehen.»

Immer mit der Ruhe

Zusammengefasst heisst das: Unbekanntes wird als bedrohlich wahrgenommen und die Kommentarspalte ist das Ventil, um der Er- und Aufregung Luft zu machen. Laut Dania Schiftan ergibt es gerade deshalb Sinn, den Diskurs zu fördern. «Wer in seiner eigenen Sexualität an Grenzen stösst, findet in offenen Gesprächen Anhaltspunkte. Geht es anderen gleich oder erleben sie gewisse Dinge anders?» So ein Austausch kann auch öffentlich stattfinden. «Galaxus ist eine Plattform, auf der man einen solchen Diskurs nicht erwarten würde. Dadurch werden auch Menschen erreicht, die für gewöhnlich nicht in Kontakt mit solchen Inhalten kommen.» Das zeigt sich in der Kommentarspalte. Laut der Sexologin ist die Entstehung eines Gesprächs – sei es nun im positiven als auch im negativen Sinne – das Wertvollste, was ein Artikel hervorbringen kann. «Die Sexualität darf ein Thema wie jedes andere sein, über das man diskutiert. Nur sollte dies geschehen, ohne dass es einen stark aufwühlt.»

Dieser Kommentar wurde unter der Review zum Erotik-Film 365 Days veröffentlicht.

Früh übt sich

Aufklärungsarbeit als Teil der Schulbildung könnte dazu beitragen. «Ich würde mir von den Schulen wünschen, dass bereits ab dem Kindergartenalter die einzelnen Körperteile erklärt und richtig benannt werden. Dass man den Kindern beibringt, wie diese Körperteile aussehen, wie sie gepflegt werden und inwiefern sie zu einem selbst als Person gehören.» Den Aspekt des Selbstschutzes und das Nein-Sagen lernen die meisten Kinder. Den positiven Bezug zu den Körperteilen und zum eigenen Geschlecht hingegen nicht. «Mit einer soliden Basis könnte das Thema in jeder Schulstufe altersgerecht weiterbehandelt werden.» Viele erleben derweil eine Sexualaufklärung, die sich auf die Gefahren von Krankheiten, Verhütung von Schwangerschaften und die Verhinderung von Übergriffen beschränkt. Schöne und wertschätzende Aspekte wie zum Beispiel die Selbstbefriedigung werden im Lehrplan aussen vor gelassen. «Ganz zu schweigen von elementaren Themen wie den Vor- und Nachteilen der Pornografie, des Sextings etc.»

Auf einen Nenner gebracht

«Menschen orientieren sich in allem, was sie tun, an ihren persönlichen Normen und Werten», sagt Dania Schiftan. Auch empörte Kommentatorinnen und Kommentatoren. Ihre Normen und Werte werden durch Bekanntes geformt und durch Unbekanntes herausgefordert. «Viele dieser Normen und Werte, die uns Halt geben, wurden über Jahrhunderte hinweg von einer Gesellschaft geprägt, die uns diktiert hat, wann, wie und mit wem wir unsere Sexualität 'richtig' leben dürfen.» Erst nach der Ehe. Mit einer bestimmten Häufigkeit. Nur mit einem bestimmten Geschlecht. Und so weiter. Die Sexualität verkam zum Kontrollhebel. «Weichen Gesprächsthemen von der eigens definierten Norm ab, fühlen sich Menschen existenziell bedroht. Deshalb flösst es leider heute noch vielen Angst ein, andere frei leben und für sich selbst entscheiden zu lassen.»

Dania Schiftan arbeitet seit 13 Jahren als Sexologin und Psychotherapeutin in eigener Praxis in Zürich. Mehr über sie und ihren Job erfährst du im Interview mit ihr:

  • Ratgeber

    Zu Besuch bei einer Sexologin

    von Natalie Hemengül

Alle weiteren Beiträge aus der Serie findest du hier:

  • Ratgeber

    Allzeit bereit? Sexuelle Lustlosigkeit bei Männern

    von Natalie Hemengül

  • Ratgeber

    Der Fetisch

    von Natalie Hemengül

  • Ratgeber

    Das Sex Toy im Fokus

    von Natalie Hemengül

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Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich. 


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